Salsa!

Straßenszene in Popaya

Kolumbien hat Suchtpotential. Und das nicht nur für Freunde des weißen Goldes, welches hier erwartungsgemäß leicht zu erwerben ist. Es gibt jedoch auch dunkle Wolken, die sich hartnäckig über dem Land halten. Ein Überblick:

* Kolumbien ist am Landweg schwer zu bereisen. Das Staatsgebiet wird durch drei Anden-Ketten unterteilt: Die westliche, die zentrale und die östliche Kordillere. Im Norden, an der Karibikküste, findet sich mit der Sierra Nevada das höchste küstennahe Gebirge der Welt, welches beinahe bis auf 6000 m Höhe aufragt. Kein Wunder also, dass es kaum geradlinige Autopisten gibt, auf welchen man versuchsweise mit 140 km/h dahinbrausen kann. Die Straßen winden sich immer wieder bergauf, bergab, zahllose enge Kurven müssen durchfahren werden, welche nur sehr beschränkt Platz für Gegenverkehr lassen und den lebenshungrigen Reisenden Stoßgebete im Minutentakt gen Himmel schicken lassen, dass eben jener ausbleiben möge. Oft wünscht man sich trotz der grandiosen Aussichten auf die andere Seite des Busses, um dem bedrohlichen Abgrund wenigstens ein paar Meter entrücken zu können. Für eine Strecke von 100 km mit dem Bus sollte man zwischen zwei und drei Stunden einplanen, mit klarer Tendenz zu drei. Bei einer Nord-Süd-Ausdehnung Kolumbiens von 1800 km müsste man also mindestens 45 Stunden Fahrtzeit von hier nach da einkalkulieren. Natürlich nur, verliefen die Straßen geradlinig, wovon ja keine Rede sein kann.

* In Kolumbien gedeiht richtig guter Kaffee. Selbiger ist beinahe ausschließlich für den Export bestimmt, was in etwa 25% des Gesamtausfuhrvolumens des Landes ausmacht. Nach Brasilien und Vietnam ist Kolumbien der drittgrößte Kaffeeproduzent. Kolumbianer selbst trinken übrigens in der Regel  B- und C-Ware und das – nachvollziehbarer Weise – nicht gerne und nicht wirklich viel davon.

* Ein Gramm Kokain ist in Kolumbiens Straßen für rund 3 Euro erhältlich und kostet somit weniger als ein Krug Bier in Österreich. Der Preis der psychisch stark abhängig machenden Droge steigt mit den zurückgelegten Kilometern ab Plantage und der Anzahl der Grenzüberschreitungen bis zum Verkaufsort. Da Österreich über keinen Hafen verfügt, in welchem die Registrierung von aus Südamerika ankommenden Bananenkisten in einer lauen Nacht schnell mal verschlafen werden kann, muss man als Konsument in der Alpenrepublik besonders tief in die Tasche greifen, um auch um 6 Uhr morgens noch ausgelassen und ohne Anflug von Müdigkeit auf der Tanzfläche steppen zu können: Mit ca. 95 Euro pro Gramm ist man dabei. Im Jahr 2016 wurden meinen Recherchen zufolge alleine im Hafen von Antwerpen, welcher einer der größeren Umschlagsplätze für den europäischen Markt darstellt, knapp 30 Tonnen des weißen Pulvers sichergestellt. Dass ein Vielfaches davon den Weg an den Ermittlern vorbei findet, versteht sich von selbst. Das zeigt, welche enormen Summen sich damit verdienen lassen. Nachdem Peru kurzzeitig die Krone des Kokainproduzenten Nr. 1 errungen hatte, ist Kolumbien nun wieder zurück an der unrühmlichen Spitze.

* Gesetz des freien Marktes: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Der mit Abstand größte Nachfrager der Droge sind die USA, gefolgt von Europa. Der bei weitem größte Anteil der im schmutzigen Geschäft mit Anbau, Verarbeitung, Transport und Verkauf anfallenden Gewalt konzentriert sich jedoch auf Kolumbien. Unzählige Menschen im Land bezahlen im Dunstkreis dieses Gewerbes mit ihrem Leben, nicht wenige sind eigentlich unbeteiligte Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren, oder zufällig die falschen Personen kannten. Den Kokskartellen würde ohne der starken Nachfrage in der westlichen Konsumwelt die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Der durch die USA stark unterstützte und finanzierte Ansatz, Kokaplantagen in Kolumbien mittels Pflanzenvernichtungsmitteln aus der Luft zu bekämpfen, erscheint mir hingegen wenig sinnvoll und kann nicht zu den gewünschten Resultaten führen. Plantagen werden in dem unwegsamen, bergigen Gelände einfach verlagert, oft aber bloß durch andere, höhere Pflanzen sichtgeschützt. Die immensen Summen, welche für diesen nicht zu gewinnenden Krieg aufgewendet werden, sollten besser in Ursachenforschung bzw. -behebung, also in die Prävention, gesteckt werden. Denn, wo keine Nachfrage, da kein Angebot.

* Wie selten irgendwo kann man sich hier über authentische Begegnungen mit Einheimischen freuen. Kaum jemand wird ein aufgesetztes Lächeln zu seinem vermeintlichen Vorteil zu nützen versuchen. Gekünstelte Herzlichkeit ist mir hier nicht begegnet, weder im Restaurant, wo man beim Abservieren der Teller vom Kellner nicht gefragt wird, ob man zufrieden war mit der Speisenqualität, noch von der Verkäuferin im Supermarkt, die den Kunden an der Kassa nicht grüßt, wenn ihr nicht danach ist. Dass das für uns höflichkeits- und anstandsverwöhnte europäische Reisenden mitunter befremdlich wirken kann, liegt auf der Hand. Jedoch ist diese Maskenbefreitheit bei näherer Betrachtung erfrischend ehrlich und wertvoll. Es wird eine Ware oder Dienstleistung auf Augenhöhe mit den Kunden verkauft, keine Extras, keine den Angestellten verordnete und überwachte Freundlichkeit, nichts drumherum. Wird man von einem Kolumbianer etwas Privates gefragt oder auch nur in einen Small Talk geschupst, kann man davon ausgehen, dass tatsächliches Interesse an der eigenen Person und keine wie auch immer geartete Strategie dahinter steckt. Man weiß in Beziehungen mit Menschen, woran man ist.

* Die landschaftliche Fülle im Land ist beeindruckend, die Biodiversität immens hoch. Nirgends auf meiner Reise hab ich mehr Fotos von verschiedensten blühenden Pflanzen geknipst, als in Kolumbien. Hinzu kommen die beeindruckend flinken Kolibris, Pumas, Buckelwale auf Sommerfrische entlang der Küste, mit der bis zu 60 m Höhe erreichenden Quindio-Wachspalme die höchste irdische Palmenart, und und und.

* Nach jahrzehntelanger Gewalt, welcher schätzungsweise 200.000 Menschen der Zivilbevölkerung zum Opfer fielen, hat der ehemalige Präsident, Juan Manuel Santos, Ende 2016 einen Friedensvertrag mit der größten terroristischen Vereinigung des Landes (und Lateinamerikas), der FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens), abgeschlossen. Für seine Anstrengungen wurde ihm 2016 der Friedensnobelpreis verliehen.
Die Kehrseite der Medaille: Ein der Bevölkerung zuvor zur Abstimmung vorgelegter Entwurf des Friedensvertrages wurde mit knapper Mehrheit abgelehnt. Der im Anschluss nur geringfügig abgeänderte, tatsächliche Vertrag machte nicht mehr den wohl zu riskanten Umweg über die direkte Demokratie. Vor allem eine ausverhandelte, weitreichende Amnestie der bewaffneten Kämpfer sowie ein der FARC zugesagter Status als politische Partei in der kolumbianischen Regierung werden im Land nicht gutgeheißen. Hinzu kommt, dass die FARC nicht Alleinverursacher des bewaffneten Konflikts war. Immer noch gibt es rechts wie auch links gerichtete Guerillaverbände, welche gegeneinander wie auch gegen Militär und Regierung kämpfen. Und die flink das durch den Rückzug der FARC entstandene territoriale Vakuum auszufüllen wussten. So wie über lange Zeit hinweg die FARC, finanzieren sich auch diese Gruppierungen durch Schutzgelderpressungen, Entführungen und darauf folgenden Lösegeldforderungen, Drogenanbau und -handel etc. Immer noch sind geschätzte 10% des Staatsgebietes nicht unter staatlicher Kontrolle. Vor allem in Grenzregionen zu Ecuador, Venezuela, Panama und Brasilien sollte man keinen unbeschwerten Wellnessurlaub planen. Durch ausufernde Korruption und verdeckte Interessen ist die Rolle der Regierung und auch des Militärs in diesem Konflikt nicht eindeutig zu durchschauen. Viele spielen ein doppeltes Spiel. Auch die großen Drogenkartelle mischen in diesem undurchsichtigen Ganzen nicht vernachlässigbar mit, haben auf allen beteiligten Seiten Unterstützer und unterstützen ganz im Sinne von Geben und Nehmen auch selbst. Nicht ganz grundlos wurde schon der Drogenkönig Pablo Escobar von vielen als Robin Hood der Armen angesehen.
Seit wenigen Wochen hat Kolumbien einen neuen Präsidenten. Sein erklärtes Ziel: Den Friedensvertrag mit der FARC zu überarbeiten. Es wird befürchtet, dass der ohnehin fragile Waffenstillstand dadurch wieder gebrochen werden könnte. Jedenfalls dreht sich die Gewaltspirale jetzt schon wieder in eine alarmierende Richtung. Heuer weist die (offizielle) Statistik bereits über 100 Morde aus. Opfer sind meist regierungskritische Aktivisten und Medienvertreter – und auch deren Angehörige. Iván Duque, der neu gewählte Präsident, lässt bislang eine eindeutige Wortmeldung hierzu vermissen.

* Was ist ein Land ohne seine Leute?! Kolumbianer sind nicht dumm, sie wissen, dass längst nicht alles rund läuft im Land, es viele Probleme zu bewältigen gilt. Und doch strahlen die Menschen hier eine unglaubliche Lebensfreude aus. Traurige Erinnerungen und/oder Problembewusstsein sind zwar da, lähmen aber nicht, lassen nicht verzweifeln oder resignieren. Kolumbianer sind stolz auf ihr Land, nicht nur während der Teilnahme an der Fußballweltmeisterschaft finden sich an jeder Ecke die Landesfarben wieder. Dann natürlich Musik: Im Lokal oder Geschäft, im Bus, in Straßen und auf Plätzen, überall werden Hüften freudvoll zum Rhythmus der Klänge geschwungen, die Freude am Spaß wirkt ansteckend. Hühner sind auch allgegenwärtig, sozusagen die Lieblingsspeise der Colombianos. Sogar die goldenen Titten Amerikas, wie die bekannte Fastfoodkette ob ihres Logos noch genannt wird, fühlt sich bemüßigt, Backhendl anzubieten. Essen ist Genuss und Genuss ist wichtig in Kolumbien, in all seinen Facetten. Nur nicht so sehr konsumbezogen wie anderswo. Das Leben an sich mit all seinem Schönen und Guten wird hier genossen, ja zelebriert. Das Leben ist ein Tanz. Salsa!

Abschließend noch etwas in eigener Sache: Manchmal mögen meine Reiseberichte dem einen oder anderen Leser zu politisch, zu oberflächlich, zu ernst, zu heiter, zu einschläfernd, zu aufwühlend, zu kurz oder zu lang erscheinen. Eines sind sie jedoch ganz gewiss nicht: Grammatikalisch, oder was die Rechtschreibung anbelangt, fehlerfrei. Hierfür gilt mein großer Dank meinem Bruderherz, das stets wesentlich mehr als nur die jeweils zwei von mir testweise eingebauten Fehler findet und vor der Veröffentlichung korrigiert, außerdem mit wertvoller Kritik nicht spart, und ohne den es diesen Blog wohl gar nicht gäbe. Herzlichen Dank für Deine Zeit und Muse!

Hauptplatz und Bushaltestelle irgendwo im Nirgendwo
Kaffeeplantage auf knapp 2000 m Seehöhe bei Salento
Abstieg in ein Schachtgrab der sogenannten Tierradentro-Kultur, über die nur sehr wenig bekannt ist. Die Gräber sind bis zu 5 m tief, in ihnen finden sich teilweise bunte Wandmalereien. Urnen und Grabbeigaben kann man im nahegelegenen Museum bestaunen.
Blühende Bergwiesen sucht man hier zwar vergebens, jedoch ist die farbenfrohe Pflanzenvielfalt atemberaubend.
Die Comuna 13 von Medellin schmücken heute unzählige Graffitis, welche die jüngere Geschichte, aber auch die Gegenwart und den positiven Blick nach vorne darstellen. Für mich zeigt die abgebildete Straßenkunst Zusammenhalt, Gemeinsamkeit, Liebe. Noch vor wenigen Jahren galt Medellin als die gefährlichste Stadt der Welt. In der Comuna 13 gehörten Maschinengewehrsalven zum Tag wie anderswo das Ertönen von Kirchenglocken. Die Stadt, wie auch die Comuna 13, befinden sich im Wandel. Möge er weiterhin positiv verlaufen.
Plaza de la Trinidad in Cartagena. Außerhalb der alten Stadtmauern und somit abseits der Haupttouristenströme, geht es einigermaßen ruhig zu. In der Altstadt kann man kaum drei Schritte machen, ohne von einem der unzähligen Verkäufer angekeilt zu werden: Sombreros, Wasser, Zigarren, Kunstnachdrucke, Marihuana, Süßigkeiten, frische Säfte, Sonnenbrillen, …
Derselbe Platz, abends. Die wenigsten der anwesenden Personen kennen sich untereinander und doch teilt man Platz und Zeit und Geschichten.
Wanderimpression nahe Salento. Die bis zu 60 m Höhe erreichende Quindio-Wachspalme ist der Nationalbaum Kolumbiens und kann einige hundert Jahre alt werden.
Jährlich im August findet in Medellin ein großes Blumenfest statt. Es kann und soll nicht in Ausführung, Organisation oder Aufwand mit dem österreichischen Narzissenfest verglichen werden, auch nicht in Stolz, Teilhabe und Enthusiasmus der Bevölkerung.
Mittagspause bei der Fahrt nach San Andrés.
Das Trocknen der Kaffeebohnen nimmt bei diesem Klima auch auf herkömmliche Art nicht viel Zeit in Anspruch.
Blick auf die Comuna 13, eines von Medellins Armenvierteln.
Bub entlaust Schwein

6 Antworten auf „Salsa!“

  1. lieber Harald deine Berichte sind auch lustig.. aber sie gehen auch unter die Haut! ich denke jedesmal wenn ich wieder News von dir lese von den Menschen/ Lebensbedingungen vor Ort wo du gerade bist, dass wir in einer Insel der Seeligen leben und oft auch auf sehr hohem Niveau raunzen.. ein Wahnsinn was sich dort abspielt , wie andre Länder involviert sind.. und welchen Preis man für GutenKaffee – wahrscheinlich unerschwinglich- und dem weißem Gold vor Ort bezahlt.. und Länder wie diese werden zum ..??.. ( jetzt bräuchte ich die Muse von Wolfgang) der wohlhabenden Länder bis zum Bankrott ausgebeutet.
    wie kann man die leute unterstützen hilft z.B. fair trade zu kaufen??
    pass gut auf dich vor Ort auf!!!!!
    ganz ganz liebe Grüsse Heidi

    1. Hi Heidi!
      Ja, wir sind schon ziemlich gut situiert in Österreich, wenn man uns mit anderen Ländern vergleicht. Aber das ist ja grundsätzlich noch nichts, wofür man sich schämen müsste. Ein bisserl mehr Bewusstsein und weniger Gejammere täte uns aber wahrscheinlich schon gut. 😉 Wie Du schreibst, geht unser Wohlstand halt teilweise auf Kosten anderer Länder und deren Bevölkerung, was nicht so ganz astrein ist. Fair trade zu kaufen schadet sicher nicht. Die Kolumbianer werden sich den Genuss ihres Kaffees dadurch leider trotzdem noch nicht leisten können.
      Lieben Gruß in den 11. Stock!

  2. @Harald:

    Danke für die lieben Worte!

    @Heidi:

    Als bekennender Schokolade-Fan, und weil ein klarer Bezug zur Steiermark existiert, möchte ich kurz auf das Projekt Kakao statt Kokain aufmerksam machen. Mag zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein, zeigt aber deutlich auf, dass die Bauern vor Ort mit „legalen“ Pflanzen mehr Geld verdienen können als etwa mit Kokain. Vorausgesetzt, die Abnehmer in den wohlhabenden Ländern sind bereit, faire Preise zu bezahlen.

  3. Hallo lieber Harald!Deine Berichte die du schreibst sind so toll,faszinierend das mann fast glaubt diese Länder zu kennen!!! Zum Thema Rechtschreibung so viel fehler könntest du gar nicht machen das uns die auffallen würden ☺weil die Dokumentationen so ergreifend und interessant sind!!!!!! Mach weiter so und alles gute freuen uns schon auf dich .(BETREFF::Wohnung gelöst )lg Bgm.

    1. Liebe Karin,

      es freut mich, dass Du meine Reisewahrnehmungen mitunter interessant findest. Leider muss ich Dich enttäuschen: Es wird nicht mehr viel zu lesen geben, meine Reise klingt langsam aus. Aber nach der Reise ist bekanntlich vor der Reise,valso: Wer weiß…
      Vielleicht opferst Du ja mal ein Fläschchen aus Eurem Keller, dann können wir mündlich noch das eine oder andere nachbesprechen. Wo auch immer es Euch jetzt hinverschlagen hat.
      Lieben Gruß, auch an Deine bravere Hälfte! 😉

  4. lieber Harry, bald hat dich die Firma wieder und du kannst uns persönlich soo hoffe ich sehr, deine Eindrücke an Hand einer tolles
    Präsentation erklären!!
    Bis dahin allllles Gute ,
    lg ahie

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